Prozessgestaltung unter erschwerten Bedingungen – die #PiratinnenKon 1/3

Case Study einer Prozessgestaltung nach dem Feld-Prozess-Modell von Jascha Rohr vor dem Hintergrund des Integrativen Verfahrens

Prozessdesign und Moderation: Katrin Faensen und Team

Prozessbegleitung (Nicht-Piraten): Anna Hanschmidt, Zackes Brustik, Benjamin Moeller, Julia Masurkewitz

plus Team der Piraten

Graphic Recording: Sabine Soeder – CoCreativeFlow

Vorbemerkung

Ich bin kein Pirat. Ich hege gewisse Sympathien für die Partei, weil sie ein chaotisches Element mit sich bringen und in Aufbruchstimmung sind (waren?). Zudem stehe ich dem Gedanken des Open Source sehr nahe, da ich ihn mit dem Konzept der Allmende, des Gemeinguts, der Commons verbinde. Ich selbst gehöre keiner Partei an und möchte diese Neutralität auch wahren. Hätte eine andere Partei einen ähnlichen Prozess gestalten wollen, wäre ich dazu ebenfalls bereit.

Die Vorgeschichte

Meine Mutter, Mitglied bei den Piraten (im Gegensatz zu mir), macht mich auf die geplante Konferenz für Frauen in der Piratenpartei aufmerksam und schlägt mich als mögliche externe Workshopgeberin vor. Ich erfahre, dass die Konferenz eine Antwort auf eine Aussage eines Bundesvorstandmitglieds der Piraten ist. Er hatte in einem Interview von sich gegeben, dass die Frauen in der Partei „gefördert und gefordert“ werden müssten. Nach dieser Gerhard Schröder im Hartz-IV Kontext zugeordneten Aussage fühlen sich einige Frauen in der Piratenpartei nicht richtig gesehen und schlagen vor, einen Nachhilfe-Workshop zum Thema Feminismus für besagtes Bundesvorstandsmitglied zu geben. Daraus wird im weiteren Verlauf eine zweitägige, vom gesamten Bundesvorstand (5:1) genehmigte und befürwortete Konferenz zum Thema Frauen in der Piratenpartei.

Ich lerne die beiden Organisatorinnen bei einem gemeinsamen Frühstück kennen. Sie berichten von der geplanten Konferenz und erzählen mir vom bisher geplanten Ablauf. Anhand meiner Nachfragen verstehen sie, dass es Möglichkeiten der Konferenzgestaltung gibt, die ihren Zielen weit mehr Rechnung tragen als eine klassische Frontalveranstaltung mit gleichzeitig ablaufenden Workshop-Slots etc. Ich verstehe, dass sie in einen ergebnisoffenen Prozess eintreten wollen, um herauszufinden, wie man gemeinsam in der Partei Frauen sichtbarer machen, auf die Geschlechterthematik in all ihren Facetten hinweisen und gleichzeitig die Partei für Frauen attraktiver machen kann. Hier könnt ihr nachlesen, welche Ziele die Organisatorinnen verfolgten: http://wiki.piratenpartei.de/PiratinnenKon

Wir kommen im Verlauf des Gesprächs überein, dass wir gemeinsam das Prozessdesign entwickeln wollen und einen kollaborativen Prozess anstreben.

Besonderheit

Ich bin von Anfang an Feuer und Flamme für diese Idee. Nicht die der Konferenz an sich, sondern diese nach meinem besten Wissen und Gewissen kollaborativ-demokratisch zu gestalten und im besten Falle einen Prozess zu initiieren, der eine fortlaufende Entwicklung mit sich bringt und den Piraten auch zu einem internen Klärungsprozess verhelfen kann. Ich bin mir darüber im Klaren, dass die desolate augenblickliche Verfassung der Partei grossen Leidensdruck mit sich bringt, aber auch die Bereitschaft, Neues auszuprobieren. Zudem würde dies der erste konsequent designte kollaborativ-demokratische Prozess in einer Partei, d.h. in einem politisch aktiven System sein. Was für eine Gelegenheit!

Die Vorbereitung – Resonanzphase

Ich lese und recherchiere, bin häufiger auf twitter, tauche ins „Piraten-Feld“ ein. Auf meinen Rat hin wird ein pirateninternes Prozessbegleiterteam etabliert. Dies besteht aus Menschen, die bereits in irgendeiner Weise prozesserfahren sind. Nach dem ersten Kennenlernen bin ich froh, mit diesen Menschen arbeiten zu dürfen. Ein Haufen menschlich höchst wertvoller, engagierter, kreativer Köpfe mit den unterschiedlichsten Hintergründen, Ansichten und Lebensentwürfen. Nachdem ich ihnen das Feld-Prozess-Modell erklärt habe, ist allen klar, auf was für ein Projekt wir uns einlassen und dass es jede/n Einzelne/n von uns verändern und in unseren eigenen Entwicklungsprozessen weiterbringen kann/wird.

Da das bisherige Konzept verschiedene Workshops vorsah gab es bereits einige Menschen, die sich als Workshop-Geberinnen einbringen wollten. Um das Engagement und Wissen dieser Menschen zu nutzen entschieden wir uns, diese als bereits feststehende Hosts für ein World-Café relativ früh im Prozess einzusetzen. Wir setzen ein wöchentliches Prozessbegleitertreffen an, um gemeinsam das Prozessdesign auszuarbeiten, wobei eine gegenseitige Beratungssituation entsteht. Ich lerne, auf was es bei den Piraten ankommt und die Prozessbegleiter der Piraten lernen, wie sie mein Wissen in ihrer Situation anwenden können.

Zwischenspiel – Prozessbegleiterkolloquium

Um mir Input von Außen zu holen stelle ich das Projekt bei unserem monatlichen Prozessbegleiterkolloquium vor. Die Begeisterung einen solchen Prozess gestalten zu können greift auf meine Peer Group über. Ich bekomme wertvolle Hinweise für Prozessdesign und Methoden. Gemeinsam erkunden wir das „Gender“- und das „Piraten“-Feld. Mindestens zwei meiner Kollegen haben Lust sich an dem Prozess als Begleiter zu beteiligen. Im weiteren Verlauf stoßen insgesamt fünf Menschen aus meinem Netzwerk hinzu.

Erschwerende Bedingungen

  • Thema „Gender“: Das Thema ist ein weites Feld. Es gibt verschiedenste Haltungen, Meinungen, Fronten, Emotionen, Verletzungen, Befindlichkeiten. Die zu Grunde liegenden Phänomene sind zum Teil gesellschaftliche Tabu-Themen wie Lust, Sexualität, Schuld und Scham. Das Thema ist uralt und es gibt im Augenblick (für mich) nicht wirklich überzeugende Ansätze gesamtgesellschaftlich angemessene Lösungen zu finden. Selbst wissenschaftliche Theorien widersprechen sich zum Teil immens und feinden sich gegenseitig an.
  • Die Piraten: Die Partei ist im Augenblick in einem schwierigen Zustand. Die eher lockere Strukturiertheit der Partei ist dem schnellen Anstieg der Mitgliederzahlen nicht gewachsen. Es existiert viel Unklarheit über Abläufe, Verantwortlichkeiten, Themen, inhaltliche Ausrichtung. Die Presse hat sich in den letzten Monaten auf interne Querelen gestürzt, die Mitglieder liefern sich Grabenkämpfe, die öffentlich auf Twitter nachzuverfolgen sind. Das noch vor ein paar Monaten locker erreichbar scheinende Ziel in den Bundestag einzuziehen ist in weite Ferne gerückt.
  • Die Kombination von Thema und Piraten: Shitstorm und Hater: Das ohnehin nicht einfache, große Thema „Gender“ bzw. „Frauen in der Piratenpartei“ trifft auf die augenblickliche Situation der Piraten. Da sowieso nach Schuldigen gesucht wird für die momentane Misere, liegt es nahe die Feministen/Maskulinisten, die sich weigern „k/ein Problem zu sehen“ als Krisenverstärker zu brandmarken. Es ist für mich eindeutig, dass beide (extremen) Seiten sich wenig bis keine Wertschätzung entgegenbringen. Der Ton und das Wording der Angriffe ist für meine Verhältnisse erscheckend. Sowohl von den Männern und Frauen der Vertreter der Maskulinisten, als auch von den Männern und Frauen, die sich stark für Feminismus einsetzen. Es entstehen neue Verletzungen auf beiden Seiten. Der jeweils anderen Partei wird vorgeworfen, die Piraten in den Abgrund zu stürzen. Aus externer Sicht sind die Angriffe der Maskulinisten abwertender und bedrohlicher, wobei die Beleidigungen definitiv von beiden Seiten ausgehen. Was sehr interessant ist, ist dass es auf allen Seiten (es gibt ja mehr als zwei Seiten – Frauen, Queer, Männer, Hetero, Homo, Trans, Inter…) auch tolle, offene, gesprächsbereite Menschen gibt, die interessiert daran sind, zu lernen und persönlich zu wachsen, sowie offen dafür sind, ihre eigene Posistion zur Diskussion zu stellen. Die Diskrepanz zwischen der zu findenden Aggressivität und derbereits existierenden Offenheit und Reflektivität ist immens.

So – für heute mag es genug sein. In den nächsten Tagen kommt die Fortsetzung:

– The Art of Invitation

– Umsetzung

  • Prozessdesign
  • Technik (Es leben die Piraten!)
  • Erfahrungsberichte und Links zu Blogbeiträgen, Tweets etc.

– Nachbereitung

– Zeitaufwand des Teams insgesamt